Die Überlieferung des Sahidischen Euchologion
Die Idee, ein Sahidic Euchologia Projekt zu starten, wurde geboren, nachdem Diliana Atanassova im Frühjahr 2020 eine Anfrage von Professor Harald Buchinger bezüglich der Existenz einer fragmentarischen koptischen Version der Anaphora von St. James im sogenannten "Lanne's Great Euchologion" erhielt. Anlass war eine geplante Tagung mit dem Titel "The Liturgy of St. James". Nach einem ersten Online-Treffen im Jahr 2021 fand das Symposium im Juni 2022 statt. Bei der Vorbereitung des damaligen Beitrags richtete Diliana Atanassova mit Unterstützung von Lina Elhage-Mensching das digitale Projekt "Sahidic Euchologia" im Göttinger Virtuellen Handschriftenlesesaal (VMR) ein, das seit 2022 offiziell online ist. Dafür benutzten wir zur Bezeichnung der vier Kodizes die Siglen der Datenbank Corpus dei Manoscritti Copti Letterari (= CMCL, heute Teil der PATh). Dort erfassten sie nicht nur das Große Euchologion von Lanne, sondern auch die drei anderen bekannten fragmentarischen Euchologia aus dem Weißen Kloster anhand von Fotografien jeder Seite zusammen mit ihren diplomatischen Editionen. Dies ermöglichte es ihnen, diese Euchologia zu bearbeiten, sie sorgfältig zu studieren und sie miteinander zu vergleichen. 2023 hat sich Agnes Mihálykó Tothne zum Team angeschlossen.
Die vier Euchologia MONB.VD, MONB.VE, MONB.VF, MONB.VG, stellen priesterliche Texte für die Liturgie des Weißen Klosters in der Zeit vom 7./8. bis zum 11. Jh. dar. Die Datierung der Textzeugen sowie die Vielfalt der erhaltenen liturgischen Formulare verweisen auf die Zeit vor der Reform des Patriarchen Gabriel II. ibn Turaik von Alexandrien (1131–1145). Bei dieser Reform wurde die Auswahl der Perikopen reduziert und vereinfacht und die Zahl der liturgischen Formulare wurde deutlich gekürzt und uniformiert. Nach dieser Reform wurden die vielen Anaphoren aus den hier besprochenen Euchologia auf nur drei Formulare reduziert: die Anaphora des Basilios von Caesarea († 379), die Anaphora des Gregorios von Nazianz († 399) und die Anaphora des Kyrillos von Alexandrien († 444).
Die Anfertigung der zwei Kodizes mit einer größeren Anzahl an erhaltenen Blättern folgt dem für die Pergamenthandschriften üblichen Quaternionenaufbau, der entweder mit einem Vorsatzblatt (MONB.VE) begann, oder aber ganz ohne Vorsatzblätter auskam (MONB.VF). Beide Muster sind bei den biblischen und liturgischen sahidischen Handschriften üblich. Obwohl das nach dem einen oder dem anderen Muster angefangene Paginierungsschema nicht immer bis zum Abschluss des Kodex beibehalten wurde, da es immer wieder zu Unregelmäßigkeiten in der Seitenzählung wegen Schreibfehlern oder anderer unbekannter objektiver Gründe kommen konnte, zeigt MONB.VF keine erkennbaren Fehler dieser Art und MONB.VE anscheinend nur einen. Das digitale Projekt „Sahidic Euchologia“ in dem Göttinger VMR erlaubt es, alle vier Euchologia weiterhin zu bearbeiten und untersuchen.
Für weitere Details vgl. Atanassova, Diliana / Elhage-Mensching, Lina (2023). Die sahidischen Euchologia des Weißen Klosters – eine kodikologische Bilanz, in: Diliana Atanassova, Frank Feder, Heike Sternberg el-Hotabi (Hg.), Pharaonen, Mönche und Gelehrte. Auf dem Pilgerweg durch 5000 Jahre ägyptische Geschichte über drei Kontinente. Heike Behlmer zum 65. Geburtstag (TSKB 4), Wiesbaden: Harrassowitz.