Digitale Edition und wissenschaftliche Erschließung des koptischen Paschalektionars
Das Osterfest ist die wichtigste religiöse Feier im liturgischen Kalender der ägyptischen Christen, die in ihrer weit überwiegenden Mehrheit der koptisch-orthodoxen Kirche angehören. In ihrer liturgischen Tradition beginnt die Paschawoche mit dem Palmsonntag und endet am Sonntag darauf mit der Osterfeier. Das liturgische Geschehen während der Paschawoche spiegelt sich im Paschalektionar wider, das unter den liturgischen Büchern der Kopten von höchster Relevanz ist.
Trotz seiner Bedeutung ist das koptische Paschalektionars auf Sahidisch, Bohairisch und Arabisch noch wenig erforscht. Der Text der ältesten sahidischen Paschalektionare (10.–14. Jh.) wurde bisher nur sporadisch zum Vergleich zur Untersuchung der jüngeren bohairischen Tradition herangezogen und blieb ansonsten gänzlich unerforscht. Die arabischen Texte in den koptischen Paschalektionaren wurden bislang nur oberflächlich oder gar nicht untersucht. Die bisherige Edition der bohairischen Paschalektionare entspricht zudem nicht mehr den gängigen wissenschaftlichen Standards. Insgesamt sind die bisherigen Untersuchungen zum Paschalektionar in Ägypten als sporadisch, selektiv und unvollständig zu bezeichnen. Das Projekt strebt hingegen erstmalig eine umfassende und systematische Erschließung an.
Das erste Hauptziel des Projekts ist die Erstellung einer digitalen Edition des ältesten erhaltenen Paschalektionars der ägyptischen Christen. Die digitale Edition erlaubt es, sowohl semi-diplomatische Editionen der einzelnen Textzeugen als auch eine kritische Ausgabe des Paschalektionars zu erstellen, in der Pergament- und Papierhandschriften auf Sahidisch, Bohairisch und Arabisch miteinander verglichen werden. Die digitale Edition wird die Infrastruktur des Virtual Manuscript Room (http://coptot.manuscriptroom.com) der Göttinger Edition des koptischen Alten Testaments nachnutzen und weiterentwickeln.
Das zweite Hauptziel ist die umfassende Untersuchung des Paschalektionars und seiner Entstehung als Lektionartyp in Ägypten. Das beantragte Projekt wird zwei Kernfragen untersuchen: a) Wie haben die Kopten die Paschawoche vor und nach der Reform des Patriarchen Gabriel II. ibn Turaik (1131–1146) gefeiert; b) gab es eine eigene liturgische Version des Bibeltextes in Ägypten? Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine textgeschichtliche Einordnung der Lektionarüberlieferung des Bibeltextes im Rahmen der Gesamtüberlieferung des jeweiligen alt- und neutestamentlichen Textes erforderlich. Auch für das zweite Hauptziel ist der Göttinger Virtual Manuscript Room von großem Nutzen.
Die beantragte digitale Erschließung des Paschalektionars wird auf der Basis innovativer Editionsmethoden die beschriebene Forschungslücke schließen. Sie ist damit von außergewöhnlicher Bedeutung, nicht nur für die Koptologie, sondern auch für die Liturgiewissenschaft, und ermöglicht ein tieferes Verständnis des religiösen Lebens der koptischen Kirche, einer der größten und bedeutendsten der orientalisch-orthodoxen Kirchen.