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Sechs neue Blätter für den Psalmenkodex sa 2055 (BC sa 33) – Teil 3

Dieser Blog bietet die Fortsetzung der Blogs vom 08.10.2019 und vom 18.10.2019.

 

Oxford, BL, Ms. Copt. d. 265 (P), frg. 1-2

Die zwei Fragmente, die unter Signatur Ms. Copt. d. 265 (P) (olim Copt. g. 3[1]) in der Bodleian Library aufbewahrt werden, sind Teile ein und desselben Blattes. Allerdings geben sie das Blatt nicht gänzlich wieder. Zwischen dem ersten und dem schlecht erhaltenen zweiten Fragment fehlen heute sechs Zeilen. Der Erhaltungszustand kann auf den Fotos, die ich während meines Forschungsaufenthalt im Juli 2018 an der Bodleian Library gemacht habe, angesehen werden. Für die Erlaubnis, diese Fotos online zu stellen, danke ich der Bodleian Library sehr herzlich.

 

 

Das Oxforder Blatt Ms. Copt. d. 265 (P), frg. 1–2 beinhaltet Ps 30,7–8.11–14r und Ps 30,15–18.20–24v, wobei die Verse 11–14 und 20–24 äußerst fragmentarisch erhalten sind. Das Blatt hat die Pergamentbeschaffenheit Haar-/Fleischseite und trägt die Paginierung ⲙ̄ⲅ̄/ⲙ̄ⲇ̣̄ (43/44). Sowohl die Schrift mit rekonstruierter Zeilenzahl 30 als auch die Paginierungs- und Schriftdekorationen deuten darauf hin, dass trotz des schlechten und fragmentarischen Zustands das Oxforder Blatt auch dem Kodex sa 2055 zuzurechnen ist.

 

Paris, BnF, Copte 102, fol. 16

Das letzte neue Komplementfragment, das ebenfalls dem Kodex sa 2055 zuzuweisen ist, wird heute in der Bibliotheque nationale de France (BnF) unter der Signatur Copte 102 fol. 16 aufbewahrt. Es handelt sich dabei um ein äußerst schmales längliches Bruchstück, das nur aus vier Zeilen besteht, wobei sowohl von der ersten als auch von der vierten Zeile nur kleine Reste erhalten sind. Wegen des schlechten Erhaltungszustands des Streifens bedarf seine Zugehörigkeit zum Kodex sa 2055 detaillierter Erläuterungen. Da die Bestimmung des Rektos und des Versos des Pariser Bruchstücks erst nach einer Identifizierung des Inhalts möglich ist, wurde es seinerzeit in der falschen Abfolge in das Volumen Copte 102 der BnF eingebunden. Das tatsächliche Rekto beinhaltet Ps 91,8–10, während das tatsächliche Verso Ps 92,3–4 zum Inhalt hat. Die Pergamentbeschaffenheit des Bruchstücks lautet Fleisch-/Haarseite. Die Schrift stimmt mit der auf den übrigen Blättern vom Kodex sa 2055 überein, wobei die Formen des Alphas und des Kjimas, die im Blog vom 08.10.2019 erwähnt wurden, auch hier zu finden sind. Leider ist die Größe des Bruchstücks so minimal, dass man vergeblich nach weiteren Argumenten sucht. Unter den möglichen paläographischen Gründen ist nur noch ein weiterer zu finden. Auf dem Verso stehen die allerletzten Buchstaben des Verses Ps 92,3 ⲟⲩ· über der Zeile mit einem schwarzen und einem roten Strich hervorgehoben. Auf diese Besonderheit, charakteristisch für Kodex sa 2055, habe ich bereits im Blog vom 08.10.2019 hingewiesen.

Trotz seiner minimalen Größe ist es möglich, das Pariser Bruchstück mit Hilfe des Inhalts innerhalb der bekannten Blätter zu platzieren. Bereits aus der Darstellung des Kodex sa 33 (LCBM sa 2055) in Biblia Coptica wird klar, dass zwischen BC sa 33.8 (Rom, BAV, Borgia copto 109, cass. VI, fasc. 20, fol. 6) und BC sa 33.9 (Paris, BnF, Copte 129(2) fol. 65) nur noch ein Blatt fehlt. Vgl. hier einen Ausschnitt aus dem Aufbau des Kodex in Biblia Coptica.[2] Inhaltsgemäß steht das neue Komplementbruchstück Copte 102 fol. 16 mit dem Inhalt Ps 91,8–10r und Ps 92,3–4v zwischen dem vatikanischen Blatt, das mit Ps 91,2 endet, und dem Pariser Blatt, das mit dem Ps 93,2 beginnt. Das vatikanische Blatt hat die Pergamentbeschaffenheit Haar/Fleischseite, während das Pariser Blatt Haar-/Fleischseite aufweist. Also fehlt laut der „Gregory-Regel“[3] zwischen ihnen nur noch ein Blatt mit Pergamentbeschaffenheit Fleisch-/Haarseite. Genau diese Pergamentbeschaffenheit hat das in Frage stehende Bruchstück Copte 102 fol. 16. Nach kodikologischen und inhaltlichen Gründen ist es dann möglich, die Seitenzahlen als [ⲣ̄ⲛ̄̄ⲍ̄]/[ⲣ̄ⲛ̄ⲏ̄] ([157]/[158]) zu rekonstruieren.

Trotz seiner minimalen Größe und daraus resultierender Schwierigkeiten ist es plausibel, das Pariser Bruchstück aus paläographischen, kodikologischen und inhaltlichen Gründen dem Kodex sa 2055 hinzuzufügen.

 

„Paris, BN, Copte 1332 fol. 261“ 

Zu allerletzt sollte eine wichtige Korrektur zu Biblia Coptica und eine neue Inhaltsidentifizierung eines bekannten Fragmentes vorgenommen werden. Unter sa 33.15 verzeichnet K. Schüssler mit der Signatur „Paris, BN, Copte 1332 fol. 261“ einen noch nicht identifizierten Ps-Text.[4] Vergebens sucht man unter dieser Signatur nach einer Schrift, die sa 2055 (sa 33) ähnelt. Schüssler erklärt noch, dass die Zugehörigkeit des kleinen Pariser Bruchstücks dem Hinweis von Anne Boud’hors[5] folgt. Er wundert sich noch, dass „die Schrift ungelenker und unregelmäßiger als auf den übrigen Blättern“ erscheint. Alles klärt sich, wenn man Boud’hors Hinweis direkt im Catalogue des Fragments Coptes nachschlägt. Anne Boud’hors gibt unter n° 9 die Signatur „1332 f. 26 l“ an. Also handelt es sich laut A. Boud’hors nicht um Folio 261, sondern um Folio 26, Buchstabe „l“. In der Tat ist die Zahl Eins mit dem Buchstaben „l“ im Catalogue des Fragments Coptes absolut identisch. Die Leerstelle nach der Foliozahl 26 ist das einzige Anzeichen, das die richtige von der falschen Lesung unterscheiden lässt. Paläographische Gründe geben keinen Anlass, die Zuweisung von A. Boud’hors zu bezweifeln. Diesbezüglich ist kein Argument mehr notwendig, da sich die Zugehörigkeit des kleinen Bruchstückes (jeweils 3 Buchstaben von je 3 Zeilen und die bunte Dekoration einer Initiale) zum Kodex sa 2055 zweifelsfrei beweisen ließ. Mir ist es damit gelungen, nicht nur den Inhalt des Bruchstückes zu identifizieren, sondern es innerhalb eines anderen größeren und bereits bekannten Fragments exakt zu platzieren. Das Pariser Bruchstück Copte 133(2) fol. 26 l hat zum Inhalt Ps 60,4–5r; Ps 61,4–5v und ergänzt den inneren unteren Teil des fragmentarischen Pariser Blattes Copte 129(2) fol. 41. Der Inhalt des neu rekonstruierten Blattes lautet Ps 59,13–14; 60,1–6.9; 61,1–5.

 

Der Kodex sa 2055 im Göttinger Virtual Manuscript Room

Alle alten und neuen Blätter, die zum Kodex sa 2055 mitzuzählen sind, stehen im Göttinger Virtual Manuscript Room (VMR) hier aufgelistet. Aus dem Kodex sind heute 24 Blätter, teilweise fragmentarisch, erhalten. Demnächst wird die Edition all dieser Psalmenblätter online gestellt werden. Leider ist es noch nicht möglich, die Fotos aller Blätter oder Fragmente online zu zeigen, jedoch hofft das Göttinger Team, dass die Rechteinhaber dies eines Tages erlauben werden.

 


[1] Der Text der Oxforder Fragmente ist seit 1903 bekannt, vgl. E.O. Winstedt, Sahidic Biblical Fragments in the Bodleian Library I, in: PSBA 25 (1903), 317–325, insbesondere 323–324. Allerdings wurden zwei der damals noch drei Fragmente nicht zusammengebunden, wie es heute der Fall ist und außerdem trugen sie die Signatur „MS. Coptic, g. 3“. Diese Signatur existiert nicht mehr in der Bodleian Library und die vielen Fragmente, die einst darunter aufgelistet waren, haben jetzt einzelne Signaturen, die nicht immer leicht herauszufinden sind.

[2] Schüssler, Biblia Coptica 1.2, 53.

[3] Die Regel besagt, dass einer Haarseite immer eine Haarseite und einer Fleischseite immer eine Fleischseite folgt, und dass dies die Abfolge zweier Blätter (H/F–F/H–H/F–F/H) bestimmt, vgl. C. R. Gregory, Les cahiers des manuscrits grecs, in: CRAI 13 (1886), 261–268.

[4] Schüssler, Biblia Coptica 1.2, 58, sa 33.15.

[5] Anne Bouvarel-Boud’hors, Catalogue des fragments coptes. I. Fragments bibliques nouvellement identifies, Paris 1987, 24, n° 9.

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