1936 veröffentlichte Walter C. Till in Le Muséon 49 einen Beitrag über „Wiener Faijumica“ (S. 170-217). Zu diesen Wiener Faijumica rechnete er auch das Pergamentfragment K 57 (S. 213f). Till hatte auf der Haarseite zweimal ⲛⲟⲩϯ
gelesen und dies als faijumische oder bohairische Schreibweise des Wortes für „Gott“ interpretiert, war sich aber selbst nicht sicher, da sonst keinerlei Dialekteinfluss festzustellen war. Identifiziert hatte Till den Text nicht. Dies gelang erst kürzlich Christian Askeland (E-Mail vom 6. Februar 2023), der den Text der Fleischseite als Sir 20,1ff erkannte. Bei näherer Betrachtung entpuppte sich der Text beider Seiten als sahidischer Standardtext von Sir 20. Das von Till auf der Haarseite gelesene zweimalige ⲛⲟⲩϯ
ist jeweils Bestandteil der Phrase ⲟⲩⲛ-ⲟⲩ-ϯ
„es gibt eine Gabe“, griechisch ἔστιν δόσις
, in Sirach 20,10. Die Fleischseite ist also das recto dieses Pergamentfragments, die Haarseite das verso. Die Onlinepräsentation der Fotos auf der Seite der ÖNB weist noch, entsprechend der Edition von Till, die umgekehrte Reihenfolge auf. Dieser neue Wiener Zeuge des koptischen Jesus Sirach war sehr wahrscheinlich gemeinsam mit dem bereits bekannten Wiener Zeugen für Jesus Sirach K 8689 (Sir 45,9-10/Sir 45,13-15) ursprünglich Bestandteil ein und desselben Codex. Den beiden Zeugen wurde daher im Rahmen des Göttinger Akademievorhabens Digitale Gesamtedition des Koptisch-sahidischen Alten Testaments die Handschrift sa 2182 zugewiesen. Das auf den Fotos der ÖNB oberhalb des größeren Fragments platzierte kleinere Fragment (von Till nicht mitediert) gehört an den unteren Rand und fügt sich dort passgenau ein. Die Schrift ist auf der Fleischseite stark verblasst, was die Transkription anhand des Fotos erschwert.
K 57: Vorläufige Transkription