In diesem Blog setzte ich meinen Bericht über neue Komplementblätter zum Kodex sa 2055 (BC sa 33), den ich am 08.10.2019 begonnen habe, fort und stelle ein fragmentarisches Blatt aus Ann Arbor vor.
In der papyrologischen Datenbank APIS lassen sich unter den Beständen der University of Michigan Library in Ann Arbor unter der Signatur P.Mich.inv. 4940 zwei Fragmente und zwei äußerst kleine Bruchstücke ein und desselben Blattes finden. In der APIS-UM können die Fotos dieser Fragmente angesehen und heruntergeladen werden. Mein herzlicher Dank gilt der University of Michigan Library, die durch die freie online-Stellung der koptischen Fragmente ihre Erforschung ermöglicht hat.
Im Zuge dieser Untersuchung ist es mir gelungen sowohl die zwei größeren Fragmente miteinander zu verbinden, als auch die zwei Bruchstücke, die jeweils nur 2–3 Buchstaben umfassen, innerhalb der größeren Fragmente zu platzieren.
Die Rekonstruktion des Blattes erfolgte mit Hilfe des Adobe Photoshop Elements Editors, mit dem ich die Fotos der University of Michigan Library APIS-UM bearbeitet habe. Die Inhaltsangaben des neu rekonstruierten fragmentarischen Blattes konnten somit präzisiert werden und lauten Ps 118,97–103r und Ps 118,114–119v.
Die Zuweisung des neu gewonnenen Ann-Arbor-Blattes zum Kodex sa 2055 (BC sa 33) ist nicht ohne Weiteres sichtbar und bedarf besonderer Erläuterungen. Das fragmentarische Ann-Arbor-Blatt hat keine erhaltenen Ränder, daher fehlen die Paginierungs- und Lagenzahlen sowie ihre Ornamentik, die bei der Blattzuweisung zu einem Kodex hilfreich wären. Das Wichtigste dabei ist, dass man wegen fehlender Ränder nicht in der Lage ist, die Zeilenzahl zu eruieren. Also kann man sich bei der Blattzuweisung nur auf die Schrift und dekorative Elemente wie schwarz-rote Punkte und Überstriche verlassen. Das Schriftbild des Ann-Arbor-Blattes entspricht der Schrift der anderen bekannten Blätter vom Kodex sa 2055. Die bereits in dem vorhergehenden Blog hervorgehobenen Merkmale des Kodex sa 2055 wie die typischen schwarz-roten Punkte am Ende eines Verses oder Satzes sowie der schwarz-rote Überstrich beim Wort ⲙⲛ̄ⲧⲙⲛ̄ⲧⲣⲉ
„Zeugnis“ sind regelmäßig auf dem Ann-Arbor-Blatt zu sehen. Somit haben wir drei paläographische Gründe, das Ann-Arbor-Blatt dem Kodex sa 2055 zuzuweisen. M.E. genügen allerdings paläographische Gründe allein nicht für die Zuweisung eines Fragments an einen Kodex. Alin Suciu hat gezeigt, dass Kodizes verschiedenen Inhalts und unterschiedlicher Struktur aus dem Weißen Kloster von ein- und demselben Schreiber stammen können.[1] In diesem Fall liefern uns der Inhalt und die kodikologische Struktur der Handschrift ein weiteres Indiz. Wie bereits im vorherigen Blog beschrieben, beinhaltet das neu zugewiesene Cambridge-Blatt Or. 1699Π iii die Psalmverse Ps 118,124–151 und ist das erste Blatt der 14. Lage mit Pag. ⲥ̄ⲑ̄/ⲥⲓ̄
(209/210). Wie beim ersten Blatt einer Lage zu erwarten ist, ist die Pergamentbeschaffenheit des Cambridge-Blattes Fleisch-/Haarseite. Der Inhalt des neu rekonstruierten Ann-Arbor-Blattes ist Ps 118,97–103.114–119. Wie leicht ersichtlich ist, steht das Ann-Arbor-Blatt inhaltsgemäß unmittelbar vor dem Cambridge-Blatt. Folglich ist das Ann-Arbor-Blatt als das letzte Blatt der [13.] Lage mit Pag. [ⲥ̄ⲍ̄]/[ⲥⲏ̄]
([207]/[208]) zu rekonstruieren. Jedes letzte Blatt einer Lage hat die Pergamentbeschaffenheit Haar-/Fleischseite. Genau diese Pergamentbeschaffenheit ist auch für das Ann-Arbor-Blatt charakteristisch.
Nachdem das Indiz des passenden Inhalts und der Pergamentbeschaffenheit die paläographischen Beweise noch zusätzlich untermauert hat, kann die Zugehörigkeit des Ann-Arbor-Blattes zu Kodex sa 2055 als relativ sicher gelten.
In der nächsten Woche folgt die Fortsetzung dieses Blogs, in der ich über die neuen Komplementfragmente aus Oxford Ms. Copt. d. 265 (P), frg. 1–2 (olim Copt. g. 3) und Paris, BnF, Copte 129(2) fol. 65 erzählen werde.
[1] Vgl. Alin Suciu, „Coptic Scribes and Manuscripts: Dated and Datable Codices from the Monastery of Apa Shenoute. I. The Codices Inscribed by Victor, Son of Shenoute (First Half of the 12th Century),“ in: Journal of Coptic Studies 16 (2014), 195–216.